Ansprache zum 29. Sonntag im Jahreskreis C-2025:
Ich habe mich beim ersten Lesen ziemlich überfordert gefühlt, dem heutigen Evangelien Text unvoreingenommen zu begegnen. Er beschämt mich im Blick auf all jene, die sich Gott in einem lebenswichtigen Anliegen anvertraut haben, und nicht erhört wurden; die nicht gesund wurden, denen nicht geholfen wurde, die kein Recht erfahren durften. Muss dieser Text für sie nicht wie ein Hohn sein? Müssen sie sich sogar noch dem Vorwurf stellen, nicht genug gebetet oder sogar falsch gebetet zu haben?
Ich denke an die Mutter, die vor drei Jahren in der Weihnachtszeit die Baseballkappe ihres Sohnes an die Krippe gelegt hat. Wie viele Stunden hatte sie gebetet, wie inständig hat sie die Krankheit ihres Sohnes betend vor Gott getragen, aber der Junge ist gestorben trotz allen Betens und Flehens, nicht einmal 14 Jahre alt. Hat Gott ihre Gebete nicht gehört? Waren ihre Gebete nicht laut genug? Hat sie nicht richtig gebetet? Es gibt Orte, in denen Tag und Nacht um Frieden in der Welt gebetet wird. Sicher ist das Wort unangemessen im Blick auf ein Gebet; aber sehen Sie irgendwo einen nachhaltigen Erfolg? Gibt es so etwas wie eine Erfolgsquote bei Gebeten? Ist Gott womöglich sogar parteiisch, dass er das eine Gebet erhört und das andere eben nicht? Und – auf die eben gehörte Lesung einzugehen – wie viele Menschen haben ihren Lieben versprochen, dass sie mitbeten um Heilung oder Linderung oder überhaupt um eine Veränderung zum Guten hin; wie viele haben andere betend unter die Arme gegriffen, sie gestützt und unterstützt, ohne dass auch hier das Schicksal sich gewendet hätte.
Sie merken, dieses heutige Evangelium weckt in mir mehr Fragen und Unsicherheit als Bestärkung und Zuversicht. Ich spüre sogar so etwas wie Angst, dass ich mit dem Lesen dieses Evangeliums Menschen, die dies hier heute hören, zusätzlichen Kummer zufüge; ist es doch möglich, dass auch unter uns heute hier tief glaubende Menschen sitzen, die enttäuscht wurden und sich von Gott verlassen fühlten.
Um sich nicht von dieser Lethargie unterkriegen zu lassen, möchte ich mit Ihnen einen tieferen Blick in das heutige Evangelium versuchen.
Bei dem Richter müssen wir uns wohl nicht lange aufhalten. Er erscheint mir korrupt, bestechlich und selbstverliebt. Aber was mir nicht in den Kopf geht: Dass Jesus seinen Vater mit diesem wirklich sehr unangenehmen Typen vergleicht. Gott also auch korrupt, bestechlich und selbstverliebt? Das kann nicht sein!
Dann ist da im Gegenüber zu diesem Bürokratenhengst diese Frau, die um ihr Recht kämpft, immer wieder. Bewundernswert, wie sie dem Richter auf die Nerven geht. Angstfrei und ohne Scheu erinnert sie ihn immer wieder an seine Verantwortung, die ihm als Richter zweifelsohne inne ist. Mit dieser Frau muss man sich einfach solidarisieren. Ihre Hartnäckigkeit, die ja beruht darauf, dass sie sich wirklich im Recht weiß, ist einfach bewundernswert. Sie gibt nicht auf, lässt sich nicht von diesem selbstherrlichen Richter beeindrucken. Und trotz der vielen Enttäuschungen, die sie mit ihm erleben musste, bewahrt sie aber den Kontakt mit ihm. Sie nimmt ihn zum einen immer wieder in die Pflicht; und – das ist die andere Seite – sie nimmt ihn in seiner Rolle ernst. So arrogant, wie er ihr auch begegnet, so beharrlich ist sie in ihrem Anliegen.
Diese Beharrlichkeit, dieses Selbstbewusstsein will gelernt sein. Ich denke an die Opfer von Missbrauch in unserer Kirche, denen nicht geglaubt wurde, weil nicht sein kann, was nicht sein darf und weil der „Herr Pfarrer“ so etwas nicht macht. Wie viel Kraft hat es gekostet, immer wieder die erlittene Not zur Sprache zu bringen, bis ihnen endlich einer geglaubt hat. Wir können kaum ermessen, welche Leistung die von Kirchenvertretern und -vertreterinnen Missbrauchten aufgebracht haben, damit endlich, endlich der Stein ins Rollen gekommen ist und ihnen Beachtung geschenkt wurde.
Ich denke an die oft so abfällig genannten „Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die in kriminelle Ecken gedrängt werden, weil so unangenehm ist, worauf sie mit verschiedenen Aktionen hinweisen, die sicher manchmal grenzwertig sind, aber doch nur ein Ziel haben: Unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen für eine Welt, die noch eine Zukunft haben möchte. Wie lange hat es gedauert, bis in Gesellschaft und Politik sie jemand ernst genommen hat.
Das Bewundernswerte ist, dass sie nicht aufgegeben haben; dass sie geglaubt haben, wovon sie überzeugt waren; und dass sie beharrlich, eigene Demütigungen einkalkulierend, den Dialog mit den Menschen, mit der Öffentlichkeit aufrecht erhalten haben. Trotz Verletzungen und Enttäuschungen verschiedenster Art brechen sie den Dialog nicht ab und halten fest an ihren Überzeugungen und Hoffnungen.
Allezeit beten sollen wir, und darin nicht nachlassen, so ermahnt Jesus seine Freundinnen und Freunde. Was doch nichts anderes bedeutet, als den Dialog mit Gott nicht abreißen zu lassen. Gott ist nicht unbedingt ein bequemer Gesprächspartner; aber er ist geduldig und er ist verlässlich, denn er ist da; er ist einfach da.
Die Qualität eines Gespräches mit Gott misst sich nicht am Erfolg dessen, was ich erreichen möchte, sondern an dem wachsenden Vertrauen, das sich im Verlauf des Gespräches, des Gebetes aufbaut. Im Gebet schärft sich die eigene Überzeugung, zeigt sich, ob sie mich wirklich trägt, oder ob sie eine von anderen übergestülpte ist. Im Dialog mit Gott lerne ich, mich selbst besser zu verstehen und erkenne ich, was es braucht, damit mein Leben ein Erfülltes ist. Nicht Erfolg ist Maßstab eines Gebetes, sondern die Chance annehmender Selbsterkenntnis. Daraus vermag sich eine neue, geistige Kraft entwickeln, mein Leben zu verändern, es bestenfalls zu bejahen.