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Ansprache zum Allerseelenfest 2025

Ansprache zum Allerseelenfest 2025:

Nein, es ist nicht alles im Leben Zufall. Aber manches eben scheinbar doch. Es gibt Augenblicke, Begegnungen, Erfahrungen, für die es vordergründig keine Erklärung gibt.

 

War es also ein Zufall, dass Jesus gerade zu der Zeit auf dem Weg nach Naim war, als ein junger Mann zu Grabe getragen wurde und er in die traurigen Augen einer weinenden Mutter blickte? Hat der junge Mann deshalb eine neue Chance zu leben bekommen, weil Jesus zufällig den gleichen Weg gegangen ist wie die trauernde Familie?

 

Kennen Sie das auch, dass scheinbare Zufälle dem eigenen Leben ganz unvorbereitet eine neue Richtung geben und wir uns dann vor Aufgaben gestellt sehen, das Leben ganz neu zu bedenken?

 

„In jener Zeit“, so beginnt das heutige Evangelium. Und in der Lesung heißt es nur wenig anders: „In jenen Tagen“. Aber wann ist „jene Zeit“, und wann ist „jener Tag“, jener Augenblick, den wir als Hinübergang bezeichnen von einer Wirklichkeit in die andere?

 

Als vor 39 Jahren mein Vater gestorben ist, da ist für unsere Familie natürlich eine Welt zusammengebrochen, vor allem natürlich für meine Mutter. Während eines Spaziergangs ist er unvermittelt umgefallen und noch dort am Wegesrand gestorben. „Ihr wisst weder die Zeit noch die Stunde“, Sie kennen sicher diese Wahrheit, die den 12 jungen Frauen in der Parabel Jesu zum Verhängnis geworden ist. Gibt es eine angemessene Zeit, sich der Wirklichkeit des Todes zu stellen? Ist es klug, die Wirklichkeit des Todes bewusst in den Alltag mit hineinzunehmen? Es war der erste Urlaub meiner Eltern seit vielen vielen Jahren, den sie sich damals geleistet haben. Was wäre gewesen, wenn den beiden im Voraus bewusst gewesen wäre, dass es ihre letzte gemeinsame Zeit gewesen wäre?

 

Es mag ein Zufall sein, dass Jesus damals der jungen Witwe in Naim begegnet ist. Aber so unvorbereitet Jesus auch gewesen sein mag, in diese tragische Situation hineingeraten zu sein, er hat nicht die Straßenseite gewechselt. Er ist geblieben und er hat sich gestellt; er ist dem Tod des jungen Mannes nicht verschämt ausgewichen. Und die weinende Mutter: Sie schämte sich ihrer Trauer und Verlorenheit nicht.

 

Als damals mein Vater im Hafen von Friedrichskoog zusammengebrochen war schüttelten vorbeigebende  Passanten den Kopf und deuteten meiner hilflosen Mutter an, sie hätte mal besser auf ihn aufpassen sollen, dann hätte er vielleicht nicht zu viel getrunken. Kein Mitleid, sondern unberechtigte, aus der Luft gegriffene Vorurteile. Meine Mutter damals weinte alleine, keine und keiner, der Mitgefühl gezeigt hat. Erst später, als der Notarzt gekommen war, konnte sie sich fassen, weil ihr jemand zuhörte.

 

Tragische Zufälle bergen Schicksalhaftes in sich; erst später, manchmal sehr viel später dürfen wir die Erfahrung machen, dass Schicksal einen auch stark machen und eine neue Form des Reifens und Wachsens in sich bergen. Meine Geschwister, vor allem natürlich meine Mutter , haben lange gebraucht, diesen plötzlichen Tod meines Vaters zu verschmerzen. Aber er hat uns auch gelehrt, wie einmalig das Leben ist und wie wichtig, den Augenblick des Lebens wertzuschätzen.

 

Der Tod eines lieben Menschen führt einem vor Augen, wie einmalig jedes Leben ist; die Zäsur des Todes eines lieben Menschen hinterfragt nicht selten auch die eigenen Lebenswege und hilft, dem eigenen Leben noch einmal eine neue Richtung zu geben. Der Tod eines lieben Menschen stellt nicht selten dem eigenen Leben noch einmal ganz neue Fragen.

 

Viele von Ihnen sind ganz oft hier zum gemeinsamen Gottesdienst, um miteinander zu beten und zu feiern. Wir schauen in so manches vertrautes Gesicht. Und doch ist unsere Gemeinschaft jeden Sonntag anders. Haben Sie  vielleicht eine Ahnung, worin die Chance liegen könnte, dass gerade wir heute so beieinander sind? Ich finde, es ist eine wirkliche Chance, wenn Menschen zusammenstehen und sich der Wirklichkeit des Lebens stellen, einer Wirklichkeit, wozu auch der Tod gehört. Es ist eine wirkliche Chance, einander nahe zu sein und eine dem anderen zu sagen: „Ich weiß, dass mein Leben begrenzt ist, ich weiß dass ich sterben muss, gleich ob ich heute jung oder alt, gesund oder krank, stark oder gebrechlich bin“. Es ist eine wirkliche Chance, gemeinsam und eben nicht allein die unausweichliche Grenze anzuschauen, die unser aller Leben beeinträchtigt und beschränkt. Es ist eine wirkliche Chance, offen einander anzuschauen im Wissen darum, auch einmal sterben zu müssen. Ja, in diesem Zufall unserer gemeinsamen Feier heute liegt eine wunderbare Chance. In der Erinnerung und in der Vergegenwärtigung des Todes vermögen wir nämlich liebevoller zu werden, dankbarer, demütiger.

 

Viele Menschen gehen in diesen Tagen des November auf den Friedhof um ihrer lieben Verstorbenen Angehörigen oder Freunde zu gedenken. Viele Menschen erinnern sich in diesen Tagen auch der ungezählten Toten der Kriege und anderen menschlichen Grausamkeiten.

 

Leider nur per WhatsApp bin ich seit längerer Zeit mit David in Kontakt, weil er nämlich im Nahen Osten zur Zeit seinen Dienst verrichtet. David ist Arzt und arbeitet aus Überzeugung bei der WHO, der Weltgesundheitsorganisation; zur Zeit arbeitet er in einem Krankenhaus in Palästina, nahe der syrischen Grenze. Die Not, die er dort tagtäglich ansehen muss überschreitet jedes menschliche Maß, aber er arbeitet dort mit seiner ganzen Leidenschaft. Eine unscheinbare kleine Hilfe, die doch so Not tut, um dem Elend und dem Leid in diesem kriegserschütterten Land entgegenzuwirken. Ja, diese Tage des November sind in besonderer Weise Tage des Trauerns. Wir trauern darum, liebevolle Menschen verloren zu haben und wir trauern auch darum, dass der Mensch immer wieder der Versuchung erliegt, sich zum Herrscher über Leben und Tod zu erheben und so zum Tier wird, das alle Vernunft und Einsicht verloren hat. Wenn wir uns heute gemeinsam erinnern und wenn wir gemeinsam trauern und wenn wir einander gemeinsam halten und trösten, dann vermögen diese grauen Tage des Novembers Tage der Hoffnung zu werden und der Zuversicht.

 

Damals, in Naim, als zufällig Jesus und die traurige Mutter begegneten und anschauten, als sich ihre Herzen trafen, da haben alle für einen Augenblick den Himmel offen gesehen und sie durften die wunderbare Erfahrung machen, dass Gott sich des Menschen annimmt. Ja, er nimmt sich unser an - auch im Tod. Dieses Versprechen Gottes macht unser Leben so wertvoll – jeden Tag, auch den letzten, der uns geschenkt ist.

 

 

 

 

Datum:
So. 2. Nov. 2025
Von:
Christoph Simonsen

Ansprache zum Allerseelenfest 2025:

Nein, es ist nicht alles im Leben Zufall. Aber manches eben scheinbar doch. Es gibt Augenblicke, Begegnungen, Erfahrungen, für die es vordergründig keine Erklärung gibt.

 

War es also ein Zufall, dass Jesus gerade zu der Zeit auf dem Weg nach Naim war, als ein junger Mann zu Grabe getragen wurde und er in die traurigen Augen einer weinenden Mutter blickte? Hat der junge Mann deshalb eine neue Chance zu leben bekommen, weil Jesus zufällig den gleichen Weg gegangen ist wie die trauernde Familie?

 

Kennen Sie das auch, dass scheinbare Zufälle dem eigenen Leben ganz unvorbereitet eine neue Richtung geben und wir uns dann vor Aufgaben gestellt sehen, das Leben ganz neu zu bedenken?

 

„In jener Zeit“, so beginnt das heutige Evangelium. Und in der Lesung heißt es nur wenig anders: „In jenen Tagen“. Aber wann ist „jene Zeit“, und wann ist „jener Tag“, jener Augenblick, den wir als Hinübergang bezeichnen von einer Wirklichkeit in die andere?

 

Als vor 39 Jahren mein Vater gestorben ist, da ist für unsere Familie natürlich eine Welt zusammengebrochen, vor allem natürlich für meine Mutter. Während eines Spaziergangs ist er unvermittelt umgefallen und noch dort am Wegesrand gestorben. „Ihr wisst weder die Zeit noch die Stunde“, Sie kennen sicher diese Wahrheit, die den 12 jungen Frauen in der Parabel Jesu zum Verhängnis geworden ist. Gibt es eine angemessene Zeit, sich der Wirklichkeit des Todes zu stellen? Ist es klug, die Wirklichkeit des Todes bewusst in den Alltag mit hineinzunehmen? Es war der erste Urlaub meiner Eltern seit vielen vielen Jahren, den sie sich damals geleistet haben. Was wäre gewesen, wenn den beiden im Voraus bewusst gewesen wäre, dass es ihre letzte gemeinsame Zeit gewesen wäre?

 

Es mag ein Zufall sein, dass Jesus damals der jungen Witwe in Naim begegnet ist. Aber so unvorbereitet Jesus auch gewesen sein mag, in diese tragische Situation hineingeraten zu sein, er hat nicht die Straßenseite gewechselt. Er ist geblieben und er hat sich gestellt; er ist dem Tod des jungen Mannes nicht verschämt ausgewichen. Und die weinende Mutter: Sie schämte sich ihrer Trauer und Verlorenheit nicht.

 

Als damals mein Vater im Hafen von Friedrichskoog zusammengebrochen war schüttelten vorbeigebende  Passanten den Kopf und deuteten meiner hilflosen Mutter an, sie hätte mal besser auf ihn aufpassen sollen, dann hätte er vielleicht nicht zu viel getrunken. Kein Mitleid, sondern unberechtigte, aus der Luft gegriffene Vorurteile. Meine Mutter damals weinte alleine, keine und keiner, der Mitgefühl gezeigt hat. Erst später, als der Notarzt gekommen war, konnte sie sich fassen, weil ihr jemand zuhörte.

 

Tragische Zufälle bergen Schicksalhaftes in sich; erst später, manchmal sehr viel später dürfen wir die Erfahrung machen, dass Schicksal einen auch stark machen und eine neue Form des Reifens und Wachsens in sich bergen. Meine Geschwister, vor allem natürlich meine Mutter , haben lange gebraucht, diesen plötzlichen Tod meines Vaters zu verschmerzen. Aber er hat uns auch gelehrt, wie einmalig das Leben ist und wie wichtig, den Augenblick des Lebens wertzuschätzen.

 

Der Tod eines lieben Menschen führt einem vor Augen, wie einmalig jedes Leben ist; die Zäsur des Todes eines lieben Menschen hinterfragt nicht selten auch die eigenen Lebenswege und hilft, dem eigenen Leben noch einmal eine neue Richtung zu geben. Der Tod eines lieben Menschen stellt nicht selten dem eigenen Leben noch einmal ganz neue Fragen.

 

Viele von Ihnen sind ganz oft hier zum gemeinsamen Gottesdienst, um miteinander zu beten und zu feiern. Wir schauen in so manches vertrautes Gesicht. Und doch ist unsere Gemeinschaft jeden Sonntag anders. Haben Sie  vielleicht eine Ahnung, worin die Chance liegen könnte, dass gerade wir heute so beieinander sind? Ich finde, es ist eine wirkliche Chance, wenn Menschen zusammenstehen und sich der Wirklichkeit des Lebens stellen, einer Wirklichkeit, wozu auch der Tod gehört. Es ist eine wirkliche Chance, einander nahe zu sein und eine dem anderen zu sagen: „Ich weiß, dass mein Leben begrenzt ist, ich weiß dass ich sterben muss, gleich ob ich heute jung oder alt, gesund oder krank, stark oder gebrechlich bin“. Es ist eine wirkliche Chance, gemeinsam und eben nicht allein die unausweichliche Grenze anzuschauen, die unser aller Leben beeinträchtigt und beschränkt. Es ist eine wirkliche Chance, offen einander anzuschauen im Wissen darum, auch einmal sterben zu müssen. Ja, in diesem Zufall unserer gemeinsamen Feier heute liegt eine wunderbare Chance. In der Erinnerung und in der Vergegenwärtigung des Todes vermögen wir nämlich liebevoller zu werden, dankbarer, demütiger.

 

Viele Menschen gehen in diesen Tagen des November auf den Friedhof um ihrer lieben Verstorbenen Angehörigen oder Freunde zu gedenken. Viele Menschen erinnern sich in diesen Tagen auch der ungezählten Toten der Kriege und anderen menschlichen Grausamkeiten.

 

Leider nur per WhatsApp bin ich seit längerer Zeit mit David in Kontakt, weil er nämlich im Nahen Osten zur Zeit seinen Dienst verrichtet. David ist Arzt und arbeitet aus Überzeugung bei der WHO, der Weltgesundheitsorganisation; zur Zeit arbeitet er in einem Krankenhaus in Palästina, nahe der syrischen Grenze. Die Not, die er dort tagtäglich ansehen muss überschreitet jedes menschliche Maß, aber er arbeitet dort mit seiner ganzen Leidenschaft. Eine unscheinbare kleine Hilfe, die doch so Not tut, um dem Elend und dem Leid in diesem kriegserschütterten Land entgegenzuwirken. Ja, diese Tage des November sind in besonderer Weise Tage des Trauerns. Wir trauern darum, liebevolle Menschen verloren zu haben und wir trauern auch darum, dass der Mensch immer wieder der Versuchung erliegt, sich zum Herrscher über Leben und Tod zu erheben und so zum Tier wird, das alle Vernunft und Einsicht verloren hat. Wenn wir uns heute gemeinsam erinnern und wenn wir gemeinsam trauern und wenn wir einander gemeinsam halten und trösten, dann vermögen diese grauen Tage des Novembers Tage der Hoffnung zu werden und der Zuversicht.

 

Damals, in Naim, als zufällig Jesus und die traurige Mutter begegneten und anschauten, als sich ihre Herzen trafen, da haben alle für einen Augenblick den Himmel offen gesehen und sie durften die wunderbare Erfahrung machen, dass Gott sich des Menschen annimmt. Ja, er nimmt sich unser an - auch im Tod. Dieses Versprechen Gottes macht unser Leben so wertvoll – jeden Tag, auch den letzten, der uns geschenkt ist.