Gott und die Ukraine

Datum:
Sa. 26. Feb. 2022
Von:
Annette Jantzen

"Guten Morgen”, sagt Gott, als ich mir gerade einen Kaffee mache.
“Oh, guten Morgen, Gott”, sag ich und hole Gottes Lieblingskaffeebecher aus dem Schrank. (Das ist der Becher von der Tombola beim Feuerwehrfest mit der Aufschrift “Wenns mal brennt”.) “Auch einen Kaffee?”
“Immer”, sagt Gott.
Gott setzt sich an den Tisch und stützt den Kopf in die Hände.
“Oh, du sitzt nicht auf dem Tisch”, sag ich. “Dann musst du wohl sehr müde sein.”
“Ja”, sagt Gott.
“Warst du in der Ukraine unterwegs?”, frag ich und fülle unsere Becher.
“Ja”, sagt Gott und seufzt. “Und überall, wo Leute aus der Ukraine leben. Und bei den Leuten, die in Russland leben oder von da kommen und auch nur ihr Leben leben wollen."
Ich stelle Gott den Kaffee hin und setze mich neben Gott an den Tisch.
“Danke”, sagt Gott.
Wir trinken schweigend unseren Kaffee, während ich die Zeitung überfliege und Gott aus dem Fenster schaut.
“Was machst du heute noch?”, fragt Gott.
“Bäume pflanzen”, sag ich. “Für den Jugendsonntag.”
“Oh”, sagt Gott.
Ich schaue auf die Zeitung.
“Findest du, das passt jetzt nicht?,” frag ich.
“Das passt sogar sehr gut”, sagt Gott.
“Eigentlich ging es uns damit ums Klima”, sag ich.
“Ja, das klingt plausibel”, sagt Gott. “Und das Klima ist ja auch immer noch da. Aber das passt auch für jetzt.”
“Sicher?”, frag ich.
“Ihr pflanzt einen Baum und wisst, dass ihr Geduld braucht und Sonne und Regen und alles”, sagt Gott. “Und dass es dauert. Dass ihr nicht direkt was davon habt. Und ihr macht es trotzdem.”
“Ja”, sag ich.
“Und es wird euch sicher gut tun, was mit Erde zu machen”, sagt Gott. “Das fand ich auch immer gut.”
“Was zum Anfassen”, sag ich und blättere die Zeitung um. “Aber echt, ich hab mir nicht vorstellen können, dass sowas nochmal passiert in Europa.”
“Ich mir schon”, sagt Gott. “Dafür kannst du dir aber auch nicht vorstellen, wie aus so einem dünnen Baumstämmchen mal ein großer Baum wird, der Äpfel trägt.”
“Das stimmt auch”, sag ich.
“Siehst du”, sagt Gott.
“Du wirst dabei sein, oder”, sag ich.
“Ich bin immer da, wo etwas lebt und wächst und Leute was hoffen,” sagt Gott.
“Und wo Leute nach dir fragen, bist du auch”, sag ich.
“Ja”, sagt Gott. “Und bevor du weiterfragst: Wo Leute nicht mehr nach mir fragen, da bin ich auch.”
“Aber die Dinge passieren einfach, als ob da niemand wäre und alles sieht”, sag ich. “Das macht ganz schön Angst, weißt du.”
Gott sagt nichts.
“Wir bitten dich um Frieden”, sag ich.
“Ja”, sag Gott. “Ich hör das, und ich seh das.”
“Dann fühlen wir uns immerhin nicht so alleine”, sag ich.
“Ach mein Herzchen”, sagt Gott.
“Noch einen Kaffee?”, frag ich.
“Ja”, sagt Gott. “Und dann ziehe ich weiter.”
“Ok”, sag ich. “Und ich gehe zum Bäumepflanzen.”
“Fürs Klima, und für den Frieden, ok?”, sagt Gott.
“Ja”, sag ich.
“Danke”, sagt Gott. “Auch für den Kaffee.”
“Danke, dass du da warst”, sag ich. “Komm gut durch den Tag.”
“Du auch”, sagt Gott. “Bis bald mal wieder. Und Amen.”

Annette Jantzen