Auf Augenhöhe

Ein Gastbeitrag der blinden Journalistin Nina Odenius

Nina Odenius arbeitet als freie Autorin beim Domradio in Köln. (c) Domradio
Nina Odenius arbeitet als freie Autorin beim Domradio in Köln.
Datum:
Do. 11. Apr. 2024
Von:
Nina Odenius

Ich sitze an meinem Schreibtisch und führe ein Interview per Videokonferenz. Wie viele Andere freue ich mich darüber, dass ich im Home-Office arbeite und das ungemütliche Wetter draußen mir egal sein kann.

Mein Interviewpartner hantiert an seiner Kamera herum und fragt mich nach einigen Sekunden: „Können Sie mich jetzt besser sehen?“ „Nein“, antworte ich schmunzelnd. „Das hat aber nichts mit ihrer Kamera zu tun. Ich bin seit meiner Geburt blind.“ Einige Sekunden Stille. Ich weiß nicht so recht, ob mein Gegenüber geschockt oder überrascht darüber ist, digital mit einer blinden Journalistin verbunden zu sein. Aber er fängt sich schnell wieder und meine Behinderung spielt im Verlaufe des nun folgenden Interviews keine Rolle mehr.

Mein Weg in den Beruf

Nach meinem Studium der Romanistik und Politikwissenschaft stellte sich für mich die Frage, wo mein beruflicher Weg hingehen sollte. Trotz eines guten Studienabschlusses erlebte ich in der Zeit der Bewerbungsphase viele Berührungsängste seitens der Arbeitgeber*innen. Man traute sich einfach nicht, eine blinde Person einzustellen. Oder man traute es mir vielleicht nicht zu, in der Arbeitswelt unter ausschließlich Sehenden zu bestehen und die gleiche Leistung zu erbringen. Meine Recherchen führten mich zur Katholischen Journalistenschule nach München. Hier war man von Anfang an gewillt, mich zu unterstützen. Es fand sich dann auch eine multimediale Redaktion, in der ich den praktischen Teil meiner journalistischen Ausbildung absolvieren konnte. Im Herbst 2019 begann ich mein Volontariat bei DOMRADIO.DE in Köln. „Am Anfang hatten wir Hemmungen, weil wir nicht so recht wussten, wie wir mit Dir umgehen sollten“, berichteten mir einige Kolleg*innen später. „Darf man zu einer blinden Person „Auf Wiedersehen“ sagen oder kommt das nicht gut an?“

Die Corona-Pandemie machte meine Ausbildung zeitweise schwierig, da ich von einem Tag auf den anderen von der Redaktion ins Home-Office wechseln musste und meine Assistenzkräfte aufgrund der Abstandsregeln mich nicht bei meiner Arbeit unterstützen durften. Aber ich biss mich durch und beendete meine Ausbildung im Jahr 2021 erfolgreich. Dem Domradio bin ich bis heute als freie Autorin verbunden. Mein zweites berufliches Standbein ist die Bildung und die Arbeit als Redakteurin bei der Agentur für Bildungsjournalismus macht mir viel Freude.

Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Kirche

Über viele Jahrhunderte hinweg wurden Menschen mit Behinderung als Objekte der Fürsorge gesehen oder als diejenigen, die in der Bibel von Jesus geheilt wurden. Erst dadurch erlangten sie gesellschaftliche Teilhabe. Eine Behinderung galt bis dato als Defizit und nur langsam wächst das Verständnis dafür, dass Menschen mit Behinderung ein aktiver Teil von Kirche und Gesellschaft sein können und wollen. Auch mir hat man schon manches Mal angeboten für mich zu beten, damit ich von meinem Leiden erlöst würde. Aber das ist nicht mein Ansinnen. Ich bin der Überzeugung, dass meine Behinderung zu mir dazu gehört und ich trotz dieses Umstandes meine Ziele erreichen kann. Die Kirche und mein Glaube sind mir wichtig und deshalb möchte ich mich hier engagieren. Durch meine Ausbildung beim Domradio und der Katholischen Journalistenschule verdanke ich der Kirche viel. Dies war aber auch nur möglich, weil einige Wenige sich der Herausforderung stellten.

Vor einigen Monaten trat meine Nachbargemeinde an mich heran und fragte, ob ich bei der Organisation eines Ostergartens in der hiesigen Kirche unterstützen wolle. Wir gestalteten eine Führung für blinde und sehbehinderte Menschen. Das war für alle Beteiligten ein besonderes Erlebnis. Die Besucher*innen konnten alle Exponate berühren und wurden in das Geschehen rund um Jesus und seine Jünger hautnah miteinbezogen.

Was es für eine gelungene Inklusion braucht

Im März diesen Jahres pilgerte ich gemeinsam mit einigen Frauen des Hildegardis-Vereins aus Bonn eine Woche lang auf dem Jakobsweg. Das war eine neue und tolle Erfahrung für mich, aber auch für meine Mitreisenden. Wir waren als Glaubensschwestern gemeinsam unterwegs und stellten uns den Herausforderungen des Pilgerns. Ich war ein gleichberechtigter Teil der Gruppe und habe viele neue Kontakte geknüpft.

Meiner Ansicht nach braucht eine gelungene Inklusion Mut und Bereitschaft von beiden Seiten. Ganz wichtig ist aber auch eine offene Kommunikation auf Augenhöhe. Wir alle sind dazu aufgerufen, unsere Talente einzubringen und können uns dadurch gegenseitig bereichern.