Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser an Weihnachten, 25. Dezember 2021, im Hohen Dom zu Aachen

Homilie von Bischof Dr. Helmut Dieser an Weihnachten, 

25. Dezember 2021, im Hohen Dom zu Aachen 

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Lesung 1: Jes 52, 7-10
Lesung 2: Hebr 1, 1-6  
Evangelium:  Joh 1, 1-18

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Es gilt das gesprochene Wort

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ich möchte mit Ihnen ein Gedankenexperiment machen: Nehmen wir einmal an, es gibt keinen Gott. Was ergäbe sich daraus?

Die Welt, in der wir leben, heute gibt es das Wort Planet A für un­sere einmalige Erde, sie unterläge dann gänzlich dem Geist oder dem Ungeist des Menschen. Und einen Planeten B gibt es nicht.

Unsere menschliche Intelligenz und Willenskraft alleine müssten es zustande bringen, dass wir auf diesem Planeten A eine Zukunft haben. Es ist ja nicht absehbar, dass eine andere Lebensart sich demnächst über uns erhebt und alternativ eine Weltregierung übernehmen könnte, die mächtiger wäre als wir Menschen – oder doch?

Genau bei diesem Punkt des Gedankenexperiments entstehen heute viele düstere Erwartungen und Einschätzungen: Die Natur, so wird gerne gesagt, schlägt zurück. Zum Beispiel durch das neuartige Co­rona-Virus und seine Mutationswellen, die über die ganze Erde zie­hen.

Andere sagen: Diese Erde braucht uns nicht. Sie wird sich auch dann noch um die Sonne drehen, wenn wir das Klima endgültig ruiniert ha­ben, wenn Hitze, Brände, Flut den Lebensraum der Menschen zur un­bewohnbaren Wüste gemacht haben werden. Andere anpassungs­fähi­gere Lebensformen werden dann überleben, wir Menschen nicht.

Nehmen wir an, es gäbe keinen Gott: Dann bliebe die Frage völlig unbeantwortbar: Was war eigentlich am Anfang oder vor dem Anfang, so dass es überhaupt zum Anfang kam? Und wenn es darauf keine Antwort gibt, also keinen Sinn für den Anfang, dann auch keinen für den Verlauf der Welt und dann auch keinen Sinn für ihr Ziel und das Ende, das ganz sicher kommen wird.

Wenn es also keinen Gott gibt, gibt es auch keine Antwort und keine Aussicht für alle, die extrem zu leiden haben in dieser Welt, für alle, die an Corona sterben oder an unerklärlichen Zusammenhängen oder an der Fahr­lässig­keit anderer Menschen.

Und noch unerträglicher ist dabei für mich der Gedanke, dass es dann auch keine volle Gerechtigkeit geben kann für alle, die betrogen, ver­ge­­wal­tigt, umgebracht werden. Die Verbrechen, die nie aufgeklärt oder gar nicht bekannt werden oder die unzählbaren Schandtaten der Völ­ker­morde und des Holocaust blieben völlig ohne Antwort, ohne Chance, ge­sühnt zu werden, wären im Blick auf die Einzelschick­sale irgendwann völlig vergessen.

Wenn es keinen Gott gibt, ist diese Erde in ihrem ganzen Wohl und Wehe uns Menschen ausgeliefert und kein Schrei aus einem Leidens-Schicksal dringt zum Himmel. 

Und wer immer antreten wollte, die Welt vor dem Menschen zu ret­ten, würde scheitern an sich selbst und an seinen Verbündeten, denn die sind ja allesamt auch nur begren­zte Menschen.

Deshalb glaube ich nicht an Verschwörungstheorien und ihren Erfolg.

Ich weiß, ich könnte und müsste das Gedankenexperiment noch viel weiter führen: künstliche Intelligenz, die ist doch auf dem Vormarsch! Irgendwann machen sich die Robotermaschinen selbstständig und übernehmen unsere Welt. Ich nehme diese Vorstellung nicht sehr ernst, denn im Menschen ist ein unsagbar viel mächtigerer und wendi­gerer und kreativerer Geist als in jeder noch so klug von ihm konstru­ier­ten Maschine. Doch genau darin liegt doch das Problem, oder auch die Lösung?! Anders gefragt: Woher kommt denn der Geist des Men­schen, wenn es keinen Gott gibt? 

Hier breche ich das Gedanken­experiment ab und sage gläubig zu Ih­nen allen, was wir gleich zusammen bekennen werden: 

„Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.“ 

Oder mit dem heutigen Weihnachtsevangelium: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. […] Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist“.

Ich kann nicht anders als an Gott glauben, denn sonst würde mein Verstand von all diesen unbeantwortbaren Zumutungen irre und din und mein Leben wären im Letzten nur die eigene Last oder Lust, je­denfalls bald vorbei!

Doch weil ich an Gott glauben kann, glaube ich, dass unser Geist von ihm stammt, von dem Wort, das den Anfang gemacht hat von allem, was existiert, sichtbar und unsichtbar, materiell und geistig, analog und digital.

Der Anfang ist das Wort, das Gott ausspricht.

Es ist nicht der Anfang Gottes selbst, sondern unser Anfang, der An­fang der Schöpfung. Gott ist ohne Anfang und Ende.

Wie komme ich aber dazu, an Gott zu glauben?

Und was darf ich denn glauben, wenn ich an Gott glaube?

Die verlässliche Auskunft gibt uns der Apostel, wir haben sie in der zweiten Lesung gehört: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott […] gesprochen durch die Propheten“, und jetzt, am Ende dieses Sprechens „hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“.

Dass heute Jesus geboren ist, dass er aus dem Volk Israel kommt, das nur den einen Gott verehrt, das deutet die Heilige Schrift als Sprechen dieses Gottes zu uns. 

Und dieses Sprechen ist zweifach gedeckt: Es ist Wort, das heute Fleisch angenommen hat und anfängt, unter uns zu wohnen: Es ist Wort, Geist, Sinn Gottes, der Geschichte macht. Denn die alles über­ragende Ausdruckskraft Gottes selbst, durch die Gott alles zum Dasein gebracht hat, ist in die Geschichte unseres Planeten einge­tre­ten: nicht als Götterbote oder Zombie oder als bloße göttliche künstliche Intelli­genz, sondern als Mensch, geboren von einer Frau, uns gleich, aber nie ohne Gott, wirklich das Urbild des Menschen und zugleich be­stimmt, das Ziel und die Vollendung des Menschen zu werden.

Weihnachten, Schwestern und Brüder, sagt uns: 

  • Nie sind wir Menschen uns allein überlassen: Jesus ist, was wir sein können durch Gott.

  • Und nie verlieren wir endgültig die Zielkoordinaten, die Vollendung unseres Lebens: Jesus ist für uns in die Gottlosigkeit hineingegangen, in unseren Untergang an uns selbst am Kreuz. Weil er Gott ist, ist sein Wort und Geist allem überlegen, was wir an Tod, Untergang und Sünde anrichten können. Jesus ist schon der auferstandene vollendete Erdenmensch, der im Reich Gottes lebt als ewiger Sohn des Vaters. 

Und in diese Kindschaft zieht er uns hinein, heute an Weihnachten, und endgültig am Jüngsten Tag, wenn er wiederkommt: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht Kinder Gottes zu werden“

Darin liegt die Zukunft allen Lebens, und das ist die göttliche Bestim­mung der Welt!

Was ist nun mein Gewinn, wenn ich an den Gott Jesu Christi glaube?

Ich muss nicht am Menschen verzweifeln.

Denn wir sind nach seinem Bild geschaffen, nach dem Bild des Soh­nes Gottes, der heute in die Welt kommt.

Darum haben wir Menschen diesen unstillbaren und ins immer Grö­ßere ausgrei­fen­den Geist. Darum aber können wir auch Gärtner und Hüter der Schöpfung sein, wie es die Heilige Schrift vom Anfang er­zählt: dass Gott uns diesen Planeten A mit seiner Schönheit anver­traut hat zur Freude und zum Genießen und Danken und Annehmen und Gestalten. Alle Möglichkeiten zum Guten liegen in uns, weil wir von seiner Art sind, Söhne und Töchter nach dem Bild des ewigen Sohnes. Doch wir können niemals selbst uns und die Welt retten von unseren eigenen Sünden und Einlassungen mit dem Bösen, das sagt uns die biblische Geschichte von der Ursünde, die angefangen hat über uns zu herr­schen. Wir müssen Jesus in uns hineinlassen, ihn aufnehmen, da­für ist er gekommen!

Unser Glaube ist also notwendig, heilsnotwendig: Weil der Mensch ist, wie er ist, weil die Welt heute so bedroht ist, wie sie ist, und weil wir zwei Wege erken­nen, die wir nehmen können: Umkehr oder Un­tergang. Zwei Gebote fassen auch alles zusammen:

  • Liebe Gott mit allem, was dich ausmacht als Mensch, denn du bist nur, weil Gott es will und er will wirklich dich, sonst gäbe es dich nicht!
     
  • Und liebe deinen Nächsten im selben Maß, wie du dir selber gut bist. 

Wage solche Verlagerungen auf Gott, auf das Wohl der Erde, der Mit­men­schen, der Ärmsten und Bedrängten. Wage es, auch wenn es teuer ist, vielleicht sogar alles von dir verlangt.

Wage es, denn genau das hat Gott gewagt, als er uns schuf durch sein Wort und sein Wort selbst heute als Mensch in die Welt kommt.

Dann wächst die Hoffnung, dann erwacht der Mut, dann findet unser Geist Lösungen für die Fragen von heute, die nicht zerstören und neues Unrecht bringen, sondern Freude, die geteilt wird und niemand wird davon ausgeschlossen.

Wie willkommen sind […] die Schritte des Freudenboten, der Freude ankündigt“ […]. Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie begin­nen alle zu jubeln, denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der HERR nach Zion zurückkehrt“.

Solche Wächter können wir sein, indem wir an Gott glauben und den Glauben in Umlauf bringen. Und solche Freudenboten sollen wir sein, damit nicht die Zyniker und die Gleichgültigen und die Schwarzseher heute alles bestimmen, sondern die Mutigen und die Hoffnungs­vollen, weil Gott in Jesus zu uns gekommen ist und weil wir wirklich an ihm gesund werden sollen. Amen.