Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser bei der Priesterweihe von Diakon Christoph Glanz, 22. Mai 2021

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser im Hohen Dom zu Aachen
bei der Priesterweihe von Diakon Christoph Glanz am Samstag, 22. Mai 2021
L: 2 Kor 5, 14-20; Ev: Joh 10, 11-16.

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

Lieber Weihekandidat, Herr Diakon Glanz, 

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt, 

liebe Referentin für die Priester, Frau Gibbels-Tack,

liebe Eltern, Geschwister und Familie, Freunde und Weggefährten des Kandidaten, 

liebe Gemeindemitglieder aus Kohlscheid-Bank und aus Mönchen­glad­­bach,

liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

Zeit gibt es für uns dadurch, dass wir sie einteilen.

Davor, danach, jetzt, bald oder hoffentlich bald oder auch hoffentlich noch nicht so bald.

Im Rückblick helfen uns markante Ereignisse dabei, die Zeit einzu­teilen und zu verstehen, was damals los war. Die Älteren sagen: das war vor oder nach dem Krieg; meine Generation sagt: vor oder nach der Wende oder besser: der Friedlichen Revolution in Ostdeutsch­land. In der Kirche sagen wir: vor oder nach dem Konzil. 

Wie wird man einmal unsere heutige Zeit markieren, sagen wir in 25 Jahren beim Silbernen oder in 50 Jahren beim Goldenen Priester­jubi­läum unseres Weihekandidaten?

Ganz sicher wird man sagen: das war doch in der Corona-Zeit. 

Heute, im Mai 2021, wissen wir noch nicht zu überblicken, was diese Corona-Zeit wirklich bedeutet, wie wir aus der Pandemie und ihren Ver­werfungen wirklich herausgehen und welche Entwicklungen sich daraus ergeben werden. Wie wird man in der Kirche auf unsere Zeit blicken? Stecken wir nicht in der Kirche auch in einer Wendezeit, die eine Markierung be­deutet?

Ich meine: Ja! Und ich hoffe sogar ganz tief, dass es eine Wendezeit ist, die wir durchleben. Denn dann feiern wir heute ein Fest der Hoff­nung, ein Fest des Aufbruchs, der sich lohnt, ein Fest der Freude, weil ein jun­ger Mann aus dem Glauben heraus aufbricht und zu uns allen sagt: „Die Liebe Christi drängt“, deshalb will ich von nun an als Priester im Bistum Aachen wirken.

„Die Liebe Christi drängt“, deshalb muss niemand von uns zurück­bleiben. Niemand muss vor dem, was drängt, das Alte für den letzten Rest vom Vorrat an­sehen. Niemand muss das Neue als weniger gut, gar als Ver­trei­bung, Ver­lust oder Verrat ansehen an den früher ge­schlos­senen Ver­trä­gen mit der Zukunft.

Liebe Schwestern und Brüder, das gibt es wirklich: Es gibt heute eine echte Depression in der Kirche. Als liefe das obere Sandglas bald aus oder als sei der schmale Durchlass für das Neue in der Kirche viel zu eng und es bliebe unweigerlich stecken, ohne noch das Licht der Welt und das Licht der Kirche zu erblicken. 

Es gibt Menschen in der Kirche, die nicht mehr damit rechnen, dass die Zukunft, die sie erhoffen, noch stattfindet. 

Und es gibt Menschen, die zweifeln, dass der Sand, der zeit ihres Le­bens schon in das untere Glas gerieselt ist, in der Kirche noch relevant bleibt und Wirkung behält.

Depres­sivität von zwei Seiten: nostalgische, weil die Gute Zeit zu Ende gehen, und zukunftspessi­mistische, weil der Kampf um die Neue Zeit verloren gehen kann. 

Sie, lieber Weihekandidat, kennen aus Ihren ersten Erfahrungen in der Pasto­ral diese Phänomene schon sehr ein­drücklich. Ihre Weiheent­schei­­dung musste es damit aufnehmen und erweisen, dass sie das aus­hält. 

Ich darf Ihnen allen, liebe Schwestern und Brüder sagen, dass mich unser Weihekandidat, Diakon Christoph Glanz, gerade damit tief be­eindruckt: seine Freude, seine Zuversicht, seine innere Sicherheit, mit der er in seinem Weihespruch uns allen sagt: „Die Liebe Christi drängt“, sie drängt mich und sie drängt euch, sie drängt die ganze Kirche, ja sie drängt jeden, der sie auch nur einmal wirklich am eige­nen Leib und in der eigenen Seele gespürt hat.

Und weil in der Mitte der Kirche solche Liebe ist, Liebe, die drängt, deshalb hat die Kirche nie nur eine Vergangenheit, sondern immer eine noch größere Zukunft.

Deshalb feiern wir heute wirklich die Priesterweihe als ein Fest der Hoffnung, die sich gegen die Depressivität behauptet, ein Fest der Freude über das Neue, das schon jetzt wirksam wird. 

Und mit Ihnen, lieber künftiger Neupriester, begrüßen wir alle heute in unserem Bistum die neue Generation, Ihre Generation, junge Frauen und Männer, die in der Kirche dieses Drängen spüren, das von Christus kommt, und die deshalb wagen, ihr Leben davon erfassen zu lassen, so dass es zur Gestalt ihres eigenen Lebens wird: Sie als Priester, andere in einem anderen kirchlichen oder pastoralen Beruf, andere in zeitlich umrissenen, kleinen und großen Projekten und En­gagements, die sie kreativ mit ihrem christlichen Leben in Ehe und Familie und ihren Be­rufen ver­binden. 

Ja, von unserem Fest heute geht eine Kraft aus: zu hoffen und innig darum zu beten, dass es Viele sind, die spüren wer­den: „Die Liebe Christi drängt“. Wenn ein junger Mensch wie Sie es spürt und dem folgt, warum dann nicht auch bald viele weitere junge Menschen, von denen wir es vielleicht gar nicht erwartet hätten? 

Es ist Jesus selbst, der schon in der ersten Generation seiner Jünger­schaft diese Erwartungshaltung einpflanzt: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind […]; und sie werden auf meine Stimme hören“.

Woher hat Jesus diese Zuversicht? 

Aus dem, was er selbst, getan hat: Er nennt sich der Gute Hirt und sagt: „Ich gebe mein Leben hin für die Schafe“. Ich bin nicht wie ein bezah­lter Knecht: der lässt sich von der Konjunktur der jeweiligen Zeit beherr­schen und investiert sich und sein Vermögen nur, wenn es günstig er­scheint. Wenn es ungemütlich und gefährlich wird, zieht er es ab.

Jesus aber sagt: Ich kenne den Vater und der Vater kennt mich: Ich weiß, dass Gott alles gibt, sich selbst, daraus komme ich, daraus bin ich der Sohn. Deshalb gebe auch ich mich: an den Vater und darin auch und für immer euch. Ich gebe mich, mein Leben, euch.

Und die Meinen, das sind darum die, die mich so kennen lernen und sich daraus selbst annehmen und lernen, es mir nach zu tun.: die das Drängen spüren. 

Das ist das eine und selbe Evangelium in der Sprache Jesu bei Johan­nes, wie auch in der Sprache des Paulus: „Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben“, das heißt: sie sind unabhängig geworden vom Auf und Ab der Zeit, vom Plus und Minus der menschlichen Konjunkturen. „Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, son­dern für den, der für sie starb und auf­erweckt wurde“.

Als Priester werden Sie, lieber Weihekandidat, dieses Evangelium mit den Menschen teilen: Wer Sie kennt, weiß, wie kontaktfreudig und kontaktfähig Sie sind, das geht ganz schnell und wie von selbst. Und in jedem Menschen wollen Sie einen von denen vorweg erkennen, die Jesus die Meinen nennt, und so mit allen Menschen umgehen, nicht mehr nur, wie Pau­lus sagt, nach menschlichen Maßstäben andere ein­schätzen, sondern nach dem Neuen, das in Christus ist.

Wenn Sie als Priester der Eucharistie der Gemeinde vorstehen, dann teilen Sie mit den Menschen den ganzen Christus, der Sie und alle Mitfeiernden drängt, weil er sein Leben, also sich selbst allen ganz gibt und darin den Vater

Liebe Schwestern und Brüder, Priesterweihe feiern, das bedeutet für unsere Kirche: Alles ist da, was wir brauchen, um mit Gott leben zu können: das Wort Gottes, das wie Samenkörner die neue Schöpfung in menschliche Biographien sät und wachsen lässt; die Sakramente, die aus dem Kreuz und der Aufer­stehung Jesu bewirken, dass die Le­ben­den nicht mehr allein für sich leben; und die Gemeinschaft ist da, die von Gott versöhnt wird, weil er unsere Verfehlungen nicht auf uns fallen lässt, damit sie uns begraben, sondern sie auf Christus lädt, der sie überwindet.

All das ist da. Und eine neue Generation wird es zu spüren bekom­men, wird es glauben, wird es annehmen und das Neue für die Kirche und in der Kirche hervorbringen.

Warum wird das ganz sicher so kommen?

Weil jede Generation sich neu danach sehnt. 

Einer ist heute bereit, sich senden zu lassen, um mit sei­nem ganzen Leben als Priester das alles zu verkün­den, den Dienst der Versöhn­ung jedem an­gedeihen zu lassen. Viele aber warten heute darauf, dass einer es ihnen aufschließt. Es ist nicht schwer. Es ist das Menschlichste überhaupt. Es ist die Liebe, die Liebe Christi, die drängt

Wer kann da noch widerstehen?! Amen.