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„Aufarbeitung ist ein Recht der Betroffenen und das muss man verinnerlichen.“

Bischof Dr. Helmut Dieser
Bischof Dr. Helmut Dieser, Generalvikar Dr. Andreas Frick, die Interventionsbeauftragte des Bistums Aachen, Mechtild Bölting, der Leiter der Fachstelle Prävention – Intervention – Ansprechpersonen (PIA), Christoph Urban, und die Leiterin der Stabsabteilung Kommunikation, Marliese Kalthoff, informierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen und allgemeinen Bistumsdienst Anfang Mai digital über den aktuellen Stand der Aufarbeitung. Lesen Sie hier Auszüge aus der Runde.
Datum:
Do. 25. Mai 2023
Von:
Stabsabteilung Kommunikation

Herr Bischof, Sie sind eines der profiliertesten Gesichter der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt, nicht nur hier im Bistum Aachen, sondern inzwischen auch überdiözesan und es ist spürbar, dass sie dieses Thema mit Nachdruck verfolgen. Vor allen Dingen, wenn es um den Blick auf die Betroffenen und ihre Bedürfnisse geht. Wo steht das Bistum Aachen heute?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Nicht mehr am Anfang, wo alles irgendwie ins Laufen kommt, sondern mittlerweile mitten im Fluss. Bisweilen beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass wir es kaum schaffen können in der gesamten Komplexität. Das treibt das Tempo, denn die Betroffenen haben ein Recht auf Aufklärung und Aufarbeitung. Dazu gehört auch, dass wir Sicherheit signalisieren und Mut machen, dass Menschen aus dem Dunkelfeld heraustreten. Das geht nur, weil wir einen Kreis von Ansprechpersonen haben, die mit Betroffenen stetig im Kontakt sind und nicht nur einmalig, sondern wiederholt Gespräche führen. Dazu gehört auch die Unterstützung bei der Antragsstellung für die Anerkennung des Leids.

Welche Rolle nehmen die unabhängigen Ansprechpersonen ein?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Die Ansprechpersonen arbeiten sehr verantwortlich und professionell mit vielen Betroffenen. Das kann ich deshalb sagen, weil ich mit ihnen im Gespräch bin und darüber hinaus auch mit vielen Betroffenen selbst. Das sind für mich immer sehr wichtige Gespräche, aus denen sich sehr oft die nächsten Bedarfe ergeben. Denn das, was uns mitgeteilt wird, ist oft so weitgreifend, dass wir überlegen müssen, wie wir unserer Verantwortung jederzeit gerecht werden können. Immer mit der Hoffnung verbunden, dass Menschen weiterhin den Mut haben, sich zu melden. Dafür müssen wir uns auch personell gut aufstellen.

Vor gut einem halben Jahr hat sich die Aufarbeitungskommission konstituiert, in der unterschiedliche Expertisen vertreten sind. 

Bischof Dr. Helmut Dieser: Die Aufarbeitungskommission arbeitet unabhängig von uns. Sie, so bekomme ich es mit, wird auch hier und da schon vorstellig, fragt bestimmte Personen und Verantwortlichkeiten an und will Auskunft haben. Das ist manchmal ein bisschen unbequem für die Befragten; sie fühlen sich auf einmal so, als wäre die Kripo bei ihnen an der Tür und wollte gucken, was sie alles so gemacht haben in letzter Zeit. Das muss aber sein. Wir wollen uns ja in dieser Weise anschauen lassen und so zur Aufarbeitung beitragen.

Wie viel Verantwortung liegt in der Aufarbeitung beim Bistum und welche Rolle spielen die Gremien? Denn die Aufarbeitungskommission, der Betroffenenrat und der Ständige Beraterstab, den Sie und der Diözesancaritasrat an Ihrer Seite wissen, haben ja letztendlich auch die Aufgabe zu kontrollieren, zu begleiten und auch zu dokumentieren. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gremien? 

Bischof Dr. Helmut Dieser: Konstruktiv. Ich glaube, dass wir tatsächlich im Moment eine gute Vertrauenssituation haben. Das gilt auch für die Gremien, die uns kritisch begleiten. Da denke ich auch an den Diözesanrat der Katholik*Innen im Bistum Aachen und an andere Gremien, die zu Recht sagen: Ihr in der Hierarchie tragt die Verantwortung und es wird wichtig sein, dass ihr transparent seid und nicht in „closed shops“ arbeitet, sondern immer wieder auch uns gegenüber Rechenschaft ablegt. Das tun wir.

Sie haben jüngst mit dem Ständigen Beraterstab getagt. Welche Impulse nehmen Sie daraus mit?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Auch die Mitglieder des Beraterstabes spüren, dass sie mit ihrer Expertise tatsächlich gebraucht werden und uns handfest unterstützen können. Es geht da nicht um Konjunktive wie ‚man könnte, man müsste, man sollte‘, sondern ich erbitte mir mitunter auch konkreten Rat für ein „Doing“. Die Gremien merken sehr wohl, dass ganz viel zu tun ist. Zuletzt haben wir intensiv darüber beraten, wie eine öffentliche Nennung von Missbrauchstätern erfolgen kann. Dass wir Namen nennen wollen, ist unbestritten. Allerdings müssen wir immer genau den Einzelfall prüfen.

In Bezug auf die öffentliche Nennung von Täter-Namen gab es in den letzten Wochen bisweilen den Vorwurf, das Bistum lasse sich zu lange Zeit damit. Dies galt insbesondere für den Täter Pfarrer M., der als Fall 9 im Missbrauchs-Gutachten vom November 2020 aufgeführt wird. Dieser Pfarrer ist trotz Verbots nach Afrika gereist und hat von dort eine Sammlung indigener Artefakte mitgebracht, die seit 1991 bei Missio Aachen ausgestellt war. 


Dr. Andreas Frick: Es gibt leider eine Wirklichkeit, die ist komplizierter und die braucht eben eine gründliche Fassung. Dieser Mann, um den es geht, war ein offensichtlich kriminell Handelnder. Da gibt es keinen Zweifel. Er ist frühzeitig in den 1960er-Jahren dienstlich aus dem Verkehr gezogen worden, hat sich privat auf den Weg gemacht, ist aber leider kein strafrechtlich Verurteilter. Aufarbeitung ist so wichtig, dass sie nicht aus einem Impuls, einer Laune oder einer Spontanität heraus passiert, sondern aufgrund von Kriterien gut abgewogen sein muss. Deshalb erarbeiten wir eine Systematik. Es geht nicht darum, etwas zu Vertuschen. Der Fall ist lange intern bekannt, auch Missio wusste darum. Und trotzdem ist eben diese Ausstellung noch lange gezeigt worden. Wenn Betroffene von damals nur den Namen des Betreffenden hörten oder bestimmte Artefakte sahen, waren sie re-traumatisiert. Auch das ist eine Wirklichkeit, mit der wir umgehen müssen. Das lerne ich als Nicht- Betroffener von Betroffenen, dass Trigger-Situationen entstehen, die man behutsam anschauen muss. Wenn wir anfangen, Täter in ihren früheren Wirkungsstätten zu nennen als Missbrauchstäter oder hochgradig Missbrauchs-Verdächtige und Menschen ermutigen, aus dem Dunkelfeld zu bekommen, wissen wir auch aus psychologischen Erkenntnissen, dass das etwas auslösen kann. Bei den damaligen Kindern, die heute erwachsen sind, und auch bei Menschen aus deren Umfeld. Das muss aus einer organisatorischen Fürsorge möglichst gut vorgedacht und begleitet werden. Man muss sich darauf einstellen, was in einem Jugendverband, in einem Jugendheim oder in einer Pfarrei passiert. Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.

Herr Bischof, Sie haben ja mit ihrem Beraterstab zusammengesessen und genau dieses Spannungsfeld auch mit den verschiedenen Qualifikationen der TeilnehmerInnen diskutiert. Was war so das Spiegelbild zu diesem Thema - Veröffentlichung von Namen und Gründlichkeit vor Geschwindigkeit?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Es gibt einen ehernen Grundsatz: Betroffene haben das Recht auf Aufarbeitung ihres Falles. Also auf eine tiefere Beantwortung der Fragen: Wie konnte es damals sein, dass mir an dieser Stelle in diesem Lebensalter dieser Täter mit das antun konnte? Wer wusste damals davon? Wer hätte mir damals beistehen, wer hätte den Täter stoppen müssen? Alle diese Fragen quälen Betroffene sehr tief, und deswegen haben sie ein Recht darauf, plausible Antworten zu hören. Von daher ist Aufbereitung ein Recht der Betroffenen. Das muss man verinnerlichen. Dieses Recht der Betroffenen muss man gegen all die Ansprüche von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz der Täter oder der Beschuldigten aufwiegen.

Allein die Ankündigung, dass wir Täter-Namen nennen wollen, nachdem der Beraterstab mir unterstützend grünes Licht gegeben hat, hat viele aufgewühlt. Ein Betroffener hat jetzt schon bei uns gemeldet, der allerdings nicht möchte, dass seine Geschichte öffentlich wird.

Wie behält der Betroffene also die Regie seines Falles? Auch wenn wir weitergehen, wenn wir jetzt Täternamen nennen, dann könnte es ja sein, dass jemand sagt: „Das war doch unser Pfarrer. Du warst doch damals bei dem Messdiener!“ Und dann könnten über Rückschlüsse ganz schnell auch Betroffene die Übersicht oder die Regie über die Mitteilung ihres eigenen Erlebens verlieren. Deswegen ist es hochsensibel, das betroffene Umfeld und die Regie, die die Betroffenen behalten müssen, genau im Blick zu halten. Mir ist an dieser Stelle wichtig, dass wir nicht pauschal Namen in die Welt setzen, sondern den Einzelfall prüfen. Dazu muss dann auch der Betroffenenrat mitreden: Sollen wir diesen Täternamen veröffentlichen, müssen wir vorher noch anderes tun oder tun wir es vielleicht überhaupt nicht?

Es bleibt dabei: die Betroffenen müssen die Regie behalten und ich darf in dem Fall, den wir jetzt vor Augen haben, den wir am liebsten bald veröffentlichen wollen und den auch der Generalvikar genannt hat, sagen, dass es eben dort tatsächlich Betroffene sind, die das Anmelden und sagen: „Ich halte das nicht mehr aus, dass immer noch nicht offen darüber gesprochen werden kann“. Es sind tatsächlich die Betroffenen selbst, die auf diesen Fall hin eine Veröffentlichung wünschen und wir deswegen jetzt auch sagen: ja, wir müssen da weitergehen. Und so muss es in jedem Fall eine Einzelfallprüfung geben.

Frau Bölting, was sind die drängendsten Nöte der Betroffenen und was passiert, wenn Betroffene sich melden?

Mechtild Bölting: Das Drängendste ist, dass die Anträge, Anliegen und Anfragen zeitnah bearbeitet werden können. Dieses Warten darauf: Wann wird mein Anliegen an die UKA geschickt, die für die Anerkennungszahlungen zuständig ist? Was passiert mit meiner Geschichte im Bistum? Dieses Vertrauen aufzubringen, dass damit gut umgegangen wird, wenn man schon einmal von der Kirche als Institution zutiefst verletzt worden ist, das ist schwer auszuhalten. Eben auch dadurch, dass jetzt die Möglichkeit eröffnet worden ist, einen Widerspruch einzureichen. Dann kommt alles wieder hoch und die Betroffen müssen sich damit erneut auseinandersetzen.

Wenn Betroffene sich melden, werden sie an die speziell ausgebildeten Ansprechpersonen verwiesen oder sie melden sich direkt dort. Es folgt ein erstes, unverbindliches Beratungsgespräch, in dem geklärt wird, was die Betroffenen konkret wollen: Wollen sie einen Antrag auf Anerkennung des Leides stellen und welche Konsequenzen hat das? Wenn sie dies wollen, findet ein weiteres Gespräch statt, das dokumentiert wird. Erst dann erfährt die Interventionsstelle davon. Also, es gibt immer noch diesen Zwischenschritt, dass die Betroffenen entscheiden können: Will ich, dass das weiter geht, ins Generalvikariat und dann zur Anzeige gebracht wird? Weil, wenn es gemeldet wird und sobald es in der Interventionsstelle ankommt, müssen wir handeln. Und dann ist eine der ersten Frage immer: Lebt der Beschuldigte noch oder der Täter? Bei einem lebenden Täter wird ein Krisenstab einberufen, weil in diesem Fall die Anzeigepflicht gilt.

Schauen wir noch einmal auf die Veröffentlichung von Täter-Namen. Manche meinen ja, jetzt werden Listen ins Internet gestellt. Entscheidend, so sagen Sie, Herr Urban, ist der Einzelfall. 

Christoph Urban: Ich möchte da ansetzen, was Bischof Dieser eben sagte: Wir müssen von den Betroffenen ausgehen; a) ob sie es wollen und b) abzusprechen, wie sie mitgehen können, um nicht in eine Re-Traumatisierung zu fallen.

Darüber hinaus sind wir aufgrund der Empfehlung des Beraterstabs dabei, Kriterien zu entwickeln, wann eine Veröffentlichung sinnvoll ist und wann nicht. Wie können wir die beiden Waagschalen, nämlich das Persönlichkeitsrecht bzw. -schutz eines möglichen Täters, das teilweise über den Tod hinausgeht und das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit nicht gegeneinander ausspielen, sondern eine Bewertung im Interesse der Betroffenen erreichen. Also insofern gilt zu prüfen, was juristisch noch mal sauber zu klären ist, bevor wir einen Täternamen nennen.

Wichtig ist darüber hinaus ein Begleitsystem für betroffene Menschen und Systeme auf die Beine zu stellen, also in den Pfarren, in der Familie, dort, wo dieser Missbrauch bisher ggf. auch noch gar nicht bekannt ist.

Frau Bölting, Sie sind diejenige, bei der nach so einem Aufruf alles ankommt. Ich glaube, die Intervention hat allein seit der Veröffentlichung des Gutachtens insgesamt 103 Fälle von Betroffenen erarbeitet. Bis zum Jahresende 2022 haben 103 Betroffene einen Antrag bei der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der Deutschen Bischofskonferenz  einen Antrag gestellt. Seit März gibt es nochmal eine Widerspruchsmöglichkeit. Das heißt, diejenigen, die sich durch die Auszahlung der Summe nicht richtig in ihren Bedürfnissen wiedergespiegelt sehen, nochmal einen weiteren Antrag stellen können. Was sind aus der Sicht der Intervention die drängendsten Themen und die drängendsten Nöte sowohl der Betroffenen, aber auch im operativen Tagesgeschäft?

Mechtild Bölting: Das Drängendste ist, dass die Anträge, Anliegen und Anfragen zeitnah bearbeitet werden können. Dieses Warten darauf: Wann wird mein Anliegen an die UKA geschickt, die für die Anerkennungszahlungen zuständig ist? Was passiert mit meiner Geschichte im Bistum? Dieses Vertrauen aufzubringen dass damit gut umgegangen wird, wenn man schon einmal von der Kirche als Institution zutiefst verletzt worden ist, das ist schwer auszuhalten. Eben auch dadurch, dass jetzt die Möglichkeit eröffnet worden ist, einen Widerspruch einzureichen Dann kommt alles wieder hoch und die Betroffen müssen sich damit erneut auseinandersetzen.

Sie arbeiten ja im Netzwerk zusammen mit den speziell ausgebildeten Ansprechpersonen für den Erstkontakt mit Betroffenen. Können Sie für die Kolleginnen und Kollegen einmal einen typischen Fall schildern; wobei allein die Formulierung typisch schon nicht angemessen ist.. Können Sie beschreiben, wie Sie damit umgehen und wie eine Plausibilitätsprüfung erfolgt? Denn das ist ja an der Stelle auch nochmal wichtig zu sagen: die Kirche geht einen anderen Weg als der Staat an dieser Stelle gehen würde. Dort hat nicht der Betroffene eine Beweislast, sondern es wird lediglich die Plausibilität geprüft. Das ist ja nochmal ein ganz entscheidender Punkt, der vielleicht auch manchmal in den Hintergrund gerät, wenn man sagt: Ist das eigentlich gerecht, was da passiert?

Mechtild Bölting: Wenn Betroffene sich melden und werden sie an die speziell ausgebildeten Ansprechpersonen verwiesen oder sie melden sich direkt dort. Es folgt ein erstes, unverbindliches Beratungsgespräch, in dem geklärt wird, was die Betroffenen konkret wollen: Wollen sie einen Antrag auf Anerkennung des Leides stellen und welche Konsequenzen hat das? Wenn sie dies wollen findet ein weiteres Gespräch statt, das dokumentiert wird. Erst dann erfährt die Interventionsstelle davon. Also, es gibt immer noch diesen Zwischenschritt, dass die Betroffenen entscheiden können: Will ich, dass das weiter geht, ins Generalvikariat und dann zur Anzeige gebracht wird? Weil, wenn es gemeldet wird und sobald es in der Interventionsstelle ankommt, müssen wir handeln.

Eine der ersten Frage ist immer: Lebt der Beschuldigte noch oder der Täter? Bei einem lebenden Täter wird ein Krisenstab einberufen, weil in diesem Fall die Anzeigepflicht gilt.

Bischof Dr. Helmut Dieser: Wir wollen gerne, dass alle wissen, dass es nochmal einen Schutz für die Betroffenen gibt. Sie können mit den Ansprechpartnern sprechen und sagen: „Ich will es nicht.“ Dann wird dies beachtet. Aber sobald von Betroffenen gewünscht wird, dass der Generalvikar oder der Bischof es erfahren, dass man mit uns sprechen will, sobald wir in die Kenntnis eines lebenden Beschuldigten kommen, sind wir im Wort mit den Staatsanwaltschaften, dass wir auf jeden Fall anzeigen werden. Die Betroffenen geben einen Teil der Regie ab und haben nicht mehr die volle Kontrolle über ihren Fall, wenn es bis auf unsere Ebene gehen soll. Da kann ich jetzt sagen: das ist Vertuschung. Nein, das ist nicht Vertuschung, sondern es ist noch einmal Betroffenenorientierung, um den Betroffenen klar zu machen: Du entscheidest!

Mechtild Bölting: Die Ansprechperson prüfen sehr wohlwollend die Plausibilität dessen, was erzählt worden ist. . Es geht darum, die Dinge zu finden, die dafür sprechen, dass es so, wie es beschrieben ist, auch passiert ist. Ist das authentisch? Es gibt Kriterien, nach denen man so etwas einschätzen kann. Wir gehen auch auf die Suche, um das zu unterstützen und zu bestätigen, dass das, was uns erzählt wurde, stimmt. Manchmal können sich auch Betroffene nicht an den Namen eines Beschuldigten erinnern. Sie wissen nur, sie sind missbraucht worden. Sie können es verorten und fangen an, in Kirchenzeitungen oder im Archiv zu suchen: Wer könnte das gewesen sein?

Die Plausibilitätsprüfung wird an die Interventionsstelle weitergegeben, unterschrieben und geht weiter an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Dort wird über die Höhe der Anerkennungszahlung entschieden. Eine erneute Plausibilitätsprüfung erfolgt nicht. Dazwischen sind ganz viele Gespräche, viele Kontakte, viel Überlegen, viel Abwägen und Entlastung. Das sind schon auch Geschichten sind, die einfach wirklich schrecklich sind.

Vielen Dank an der Stelle, und ich schau mal in den Chat, und da ist eine Frage an Frau Bölting, welche Unterstützung, welche Begleitung bekommen denn die Betroffenen dann auch auf den Weg, wenn der Täter angezeigt wird?

Mechtild Bölting: Die Ansprechpersonen sind immer ansprechbar für die Betroffenen und häufig wenden die sich dann an die. Und dann gibt es noch die Möglichkeit einer Vermittlung an Beratungsstellen. Häufig haben die ja auch selber schon therapeutische Begleitung. Das kommt immer wieder vor. Und wenn es nicht über die Krankenkassen finanziert wird, ist eine therapeutische Unterstützung auch von unserer Seite her möglich.

Und dann eine weitere Frage: Inwieweit müsste eigentlich auch der Staat eingebunden werden in der Aufarbeitung und entsteht da möglicherweise nicht eine Parallelwelt, wenn der Staat jetzt durch Frau Klaus als Missbrauchsbeauftragte der sogenannten UBSKM ihr eigenes Ding macht und möglicherweise parallel an den Kirchen vorbei, Herr Bischof, und wie ist da gerade der aktuelle Diskussionsstand?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Spannend ist er, weil ich mehrfach jetzt schon in der Öffentlichkeit eigentlich die Rolle des Staates und auch einen Wunsch, wie die Rolle des Staates jetzt uns helfen könnte, formuliert habe. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich. Zum Teil wird einfach so getan, als gebe es das nicht und es wird von uns gefordert, oder wir bekommen darauf gesagt, die Kirche schafft das nicht, die Kirche kann das nicht, und dabei wird ignoriert, was wir tun, und ich möchte also jetzt deswegen hier die Gelegenheit nochmal nutzen, als erstes zu sagen: der Staat behält die Aufgabe das Recht der einzelnen Menschen, also auch vor allem der Schwachen und hier in diesem Falle der verletzten, traumatisierten Menschen, zu wahren.

Wir haben einen Rechtsstaat, den erkennen wir an, auf dessen Boden stehen wir alle, und der Vorwurf, dass wir am Rechtsstaat vorbei gehandelt haben, trifft wirklich auf vergangene Zustände zu, nicht auf alles, aber auf manche Bereiche sehr deutlich, und daran sind wir gerade dabei, das wirklich zu verändern, wirksam zu verändern. Deswegen auch die Zusage an die Staatsanwaltschaften, dass wir anzeigen werden, wenn wir Namen von lebenden Tätern bekommen. Sogar bei Verstorbenen zeigen wir an, damit der Staat feststellt, das ist verjährt, oder wir ermitteln nicht bei Verstorbenen. Also da sind wir klar. Des weiteren ergibt sich keine Parallelwelt, wenn wir sagen, dass wir die Aufarbeitung eben nicht selber tun, sondern uns da über die Schultern blicken oder besser sogar noch - uns aufarbeiten lassen. An der Stelle gibt es ja eben eine gemeinsame Erklärung mit dem Amt der UBSKM, ihrem Vorgänger ausgehandelt und unserem Vorgänger, Stephan Ackermann.

Diese gemeinsame Erklärung, welche Standards Aufarbeitung haben muss und wie sie vorgenommen werden muss, die gilt, die ist errungen. Die gilt jetzt in diesem Fall zunächst einmal für die Kirche. Wir haben uns darauf verpflichtet, wir haben die unterschrieben, also ich habe sie unterschrieben, die anderen Bischöfe ebenfalls. Wer sie nicht unterschrieben hat, geht einen anderen Weg und handelt mit der UBSKM eine entsprechende, äquivalente Vereinbarung aus. Soweit ich das sehe, hat das keine Diözese gemacht, sondern wir haben das alles so unterschrieben, und wir halten uns daran. Da ist also schon eine Zusammenarbeit mit dem Staat, auch insofern, dass in diesen Kommissionen Personen sitzen, die wir nicht ausgesucht haben, sondern die die Länder aufgestellt haben und in diese Kommission geschickt haben. An dieser Stelle ist es uns so wichtig, dass wir genau da sagen können: da ist schon eine Zusammenarbeit mit dem Staat längst im Gange und wir lassen uns da hineingucken.

Die UBSKM selber hat natürlich einen Job, nicht nur auf die Kirche hin gesehen, sondern auf die gesamte Gesellschaft hin, und sie ist da sehr aktiv und sagt, was wir da vorbereiten für die Gesamtgesellschaft. Da müsst ihr nicht denken, dass ihr völlig ins Hintertreffen kommt als Kirche, da seid ihr ja schon längst dran, das tut ihr ja schon in vielen Bereichen. Aber das hat mich wirklich überrascht, dass sie das in einer solchen Offenheit mir gesagt hat, dass wir als Kirche eigentlich ja schon tun, was gesamtgesellschaftlich an vielen anderen Stellen auch getan werden muss. Natürlich immer noch nicht genug, also auch wir nicht. Nun haben wir ja auch noch ein nächstes Vorhaben. Wir sind ja dabei, dieses gesamte Feld neu aufzustellen und wollen auf der Bundesebene einen Expertenrat bauen. Damit sind wiederum Personen gemeint, die uns kontrollieren in den Bereichen Prävention und Intervention.

Also was tun die Diözesen, wenn sie ihre eigenen Regeln entwerfen und wie wenden sie sie an? Sind diese Regeln gut, wie sie das machen? Intervention und Prävention, ihre Schutzkonzepte in den Einrichtungen? Halten sie sich da dran? Welchen Standard haben sie wirklich mittlerweile erreicht, nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich im realen Vollzug? Da wollen wir, dass ein solcher Expertenrat uns kontrolliert, ein Berichtswesen entwickelt und dass die tatsächlich von Diözese zu Diözese gehen und da hineinschauen, dass wir eine Rechenschaftspflicht ihnen gegenüber haben und dass sie das dann öffentlich berichten in die Gesellschaft hinein.

Und jetzt geht es wiederum um den Staat. Denn ich wünsche mir oder wir in unserer bischöflichen Fachgruppe sagen: Könnt ihr denn nicht, lieber Staat, helfen, dass dieser Expertenrat eine Legitimation bekommt, die nicht von uns ausgeht? Also nicht wieder, wir haben uns die ausgesucht, sondern die werden uns gesetzt, diese Leute, die uns da kontrollieren, und da sind wir dabei. Das ist mühsam. Da habe ich zum Beispiel jetzt auch die Botschaft gehört, na ja, die Kirche kann sich ja nicht gerade bestellen, was sie mal jetzt braucht, beim Staat. Okay, habe ich verstanden. Also so soll es nicht laufen. Aber wie denn anders? Also entscheidend wird sein, dass die Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft entsteht, tatsächlich und nicht der Eindruck entsteht, die kungeln dass nicht alles mit ihren eigenen Regeln aus, sondern sie sind in einer Anbindung an die staatliche Autorität. Die staatliche Autorität gibt ihnen auch eine gewisse Legitimität in dem wie sie es Tun. Und dann wird mir immer wichtiger, auch zu sagen: Okay, dann muss es aber auch nicht nur eine Sache der Kirche sein, sondern es gibt so viele oder vielleicht noch viel, viel mehr Betroffene, auch außerhalb der Kirche. Dann muss an dieser Stelle auch das Gesamtbewusstsein der Gesellschaft dafür wachsen, dass es diese Prozesse in der ganzen Gesellschaft braucht.

Und da bin ich wiederum überrascht, was die UBSKM sagt. Sie hat so einen Begriff geprägt: ‚Wir brauchen eine Enthierarchisierung der Tatorte‘. Damit meint sie, ganz egal, ob es der Papst, der Bischof, der Kaplan der Sportlehrer, der Relilehrer oder sonst jemand war, der zum Täter wurde. Das ist ein Recht aller Betroffenen, wo auch immer der Missbrauch und durch wen geschehen ist, ein gleiches Recht auf Aufarbeitung, dass wir sie durchsetzen, und da finde ich, das ist ein guter Ansatz.

Dr. Frick. Sie sind der Vorsitzende des Krisenstabs. Dieses Thema zwischen Entscheidung, was zur Anzeige zu bringen ist - Wo ist da ihre Demarkationslinie?

Dr. Andreas Frick: Wir machen keine Parallelstrukturen. Wir haben vorbereitend etwas aus christlicher Verantwortung, aus bürgerlicher Verantwortung, sensibel mit betroffenen Daten umzugehen, aber eben auch Klarheit zu schaffen, und das heißt, wir müssen eine Abwägung treffen. Gibt es Kriterien, dennoch lebende Betroffene, wenn noch Gefahr in Verzug ist, gilt natürlich eine andere Reaktionskette ab, als wenn die Annahme ist, das ist alles schon überprüft und trotzdem bekennen wir uns dazu, nicht selbst aufzuklären, sondern die staatlichen Stellen im Rahmen des gebotenen ganz schnell und konsequent zu nutzen. Wenn der Staat sagt, es ist verjährt, dann nehmen wir den Fall wieder auf, wo eben doch noch nach einer staatlich festgestellten Verjährung oder wenn aus staatlicher Sicht der Straftatbestand nicht besteht, wir mehr erkennen, weil das zum Beispiel auch für eine mögliche Weiterbeschäftigung und einen späteren Einsatz von höchster Wichtigkeit ist. Also in dieser Spannweite wägen wir ab und gucken, dass alle die Verfahren schnell zur Wirksamkeit kommen, bis hin zu der Frage, wenn Therapien so schwer auffindbar sind, wo können die ohnehin sozial und religionspsychologisch geschulten Ansprechpersonen gucken, selbst schnell deuten und gucken, wo es eine gute Therapie gibt.

Danke, Herr Dr. Frick. Das ist vielleicht ein bisschen auch die Antwort auf die Frage von Frau Gerhards - Wie werden denn dann auch Betroffene begleitet, wenn jetzt nicht alle verfügbaren Beratungsstellen sofort zur Verfügung stehen. Frau Bölting, vielleicht, bevor wir dann auf den nächsten Punkt eingehen? Meines Wissens sind natürlich viele Betroffene seit Jahren, seit Jahrzehnten selbst schon in therapeutischer Behandlung und stützen sich dann auch nach der Meldung ihres Falles auch weiterhin darauf. Also würden sie den Eindruck bestätigen?

Mechtild Bölting: Das ist ganz unterschiedlich und sehr individuell, wie die Menschen damit umgehen und wie sie das für sich verarbeiten. Ich kann da Frau Gerhards nur zustimmen. Ich könnte hier an ganz, ganz vielen Stellen immer wieder sagen: es ist in Arbeit, haben wir auf dem Schirm, soll gemacht werden. Da kann ich ihnen nur zustimmen. Das ist ein Punkt, der noch nicht zufriedenstellend ist. Das ist etwas, was auch letztens im Beraterstab beraten worden ist und auch mit den Betroffenenrat schon besprochen wurde. Aber das Therapiekostenverfahren muss jetzt noch entschieden und entwickelt werden. Es sind hier viele Themen, aber wir haben nur eine Stunde und ich könnte zwei Wochen darüber reden.

Ich kann hier nur zustimmen und auch gerne immer wieder solche Dinge auch benennen, weil wir müssen Schwerpunkte setzen und das macht man natürlich mit solchen Rückmeldungen. Es macht es da noch mal leichter, auch Schwerpunkte zu setzen, um zu gucken, wo gucken wir denn jetzt eigentlich genauer hin und was machen wir in welcher Reihenfolge?

Aber gucken wir zuerst mal auf eine ganz provokante Frage: Sie bezieht sich auf Christiane Florin, eine Journalistin, die sich des Themas Missbrauch und Aufarbeitung in der katholischen Kirche verschrieben hat. Herr Bischof, Hand aufs Herz, wie viele Bischöfe haben Frau Florin schon angelogen? Ist so eine These haltbar?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Dann kann ich jetzt nicht Richter sein. Es ist eine harte oder eine sehr schwerwiegende Belastung, wenn sie sagt: ein Bischof hat mich angelogen. Das heißt ja, sie hat Kenntnis von den Umständen, wie sie wirklich sind, und der Bischof hat sie falsch dargestellt und das auch noch im Bewusstsein getan. Das ist ja damit beides dann gesagt und das ist schon ein starker Tobak. Da weiß ich jetzt wirklich nicht, was ich sagen soll, außer dass es mich beschämt. Und ich kann jetzt nur für mich sprechen und sagen – also – ich habe sie noch nicht angelogen. Also ich lüge nicht öffentlich, hoffe ich. Also, ich sage nicht immer alles, das kann ich überhaupt nicht, darf nicht alles sagen, was wahr war. Aber was ich sage, muss auch wahr sein. Und das hoffe, dass ich in dieser Weise Vertrauen habe. Und wenn sie jetzt auch auf mich hin sagen würde: auch du bist einer von denen, die da immer alles schönreden oder falsch darstellen oder so, dann müsste sie es mir sagen und ich müsste mich dann konkret rechtfertigen, ob es denn, ob sie Recht hat. Also, liebe Frau Florin, gehe auf diesen Bischof zu und auf den anderen auch, der es war und versuche, das im Gespräch zu klären.

Aber, Herr Bischof, vielleicht nähern wir uns gerade mal über einen anderen Weg dieses Themas. Auf der Herbstvollversammlung im vergangenen Jahr war auch das Thema Haltung ja eins. Ich will jetzt hier keine Zahlen abfragen, welchen Bischofs-Kollegen sie Haltung unterstellen und welchen keine. Aber vielleicht versuchen sie mal zu skizzieren, wie wir uns so eine Bischofs-Vollversammlung in der Diskussion alle vorstellen können und wie sie sich da auch untereinander - bisweilen glaube ich auch mal ein bisschen - mit weniger Samthandschuhe anfassen.

Bischof Dr. Helmut Dieser: Ja, das ist so. Also wir sind mittlerweile in einer Kultur der Freimütigkeit, die auch wirklich die Kritik aneinander nicht ausspart. Soweit sind wir in der Bischofskonferenz. Das ist wirklich nicht immer gemütlich und hat aber noch nicht dazu geführt, dass die Kritik jetzt auch wirklich dazu führt, dass einer sagt: ja, du hast ja eigentlich Recht, das stimmt ja oder dass wir wirklich da jetzt zu einem größeren zueinander kommen. Da ist noch Luft nach oben. Ich sage, jeder ist immer noch sehr überzeugt davon, dass der eigene Weg jetzt nun wirklich - Kollegialität hin oder her - doch also auch ohne Kollegialität der Beste ist. Wenn sie auf Haltung gehen, glaube ich, dass das wirklich ein Prozess ist, der mitunter schneller und mitunter langsamer geht, mitunter auch gar nicht mehr. Also neulich habe ich mir diese Arte-Dokumentation angeguckt, die sie wahrscheinlich kennen – ‚Die Todsünden der Katholischen Kirche ist der Titel - und da merkt man, das sind Personen, wenn die Reden, dann merkt man, sie haben es eigentlich immer noch nicht verstanden, und zwar, was ist Betroffenen-Orientierung.

Haltung kommt daher, dass ich irgendwann einmal im tiefsten gespürt habe: was hier geschehen ist auf einen einzelnen Menschen hin. Das ist so schwerwiegend, dass ich jetzt von dessen Leid her denken muss und auch sprechen muss und nicht wieder irgendwo in einem Privatraum lasse und sage: na ja gut, also, das ist jetzt so, aber Kirche ist alles viel wichtiger und Kirche und ihre Vollzüge. Und das jetzt Kirche in unserer Gesellschaft glaubwürdig ist, das ist alles viel wichtiger und das muss jetzt jemand anderes machen. Nein, ich muss von diesem betroffenen Menschen her denken, weil die ganze Sendung von Kirche, die ganze Aufgabe, die wir als Kirche in dieser Welt auch vom Glauben her haben, an dieser Stelle absolut zerbrochen ist.

Also das Wort Jesu von dem Mühlstein um den Hals, das sagt ja eigentlich alles. Das heißt, ich kann in meiner Weise, wie ich als Kirche, als kirchlicher Vertreter, als Priester, als leitende Gestalt in der Kirche mit der Sendung der Kirche umgehe, es so verderben, dass es verdorben und zerbrochen ist und es wäre besser, ich hätte überhaupt kein Mikrofon mehr in das ich reinreden könnte. Und deswegen glaube ich, dass wir als Leitende in der Kirche genau aufpassen müssen. Wer diese Haltung errungen hat, der darf in öffentliche Mikrofone sprechen und wer sie nicht hat, sollte es bitte nicht mehr tun, also zu diesem Thema sprechen, denn das wird nur noch unerträglicher, wenn Menschen, die diesen inneren Schritt nicht vollzogen haben, reden. Das tut mir mittlerweile schon weh. Wie viel mehr muss es den Betroffenen gehen?

Das waren sehr deutliche Worte. Frau Bölting, wir wollen noch mal genau zu denjenigen kommen, um die es ja eigentlich geht und was ja auch in der gemeinsamen Erklärung festgelegt ist, dass alles, was an Aufarbeitung in Kirche passiert, den Betroffenen zugute kommen muss und aus dieser Perspektive bearbeitet werden muss. Wo sehen sie dann die wichtigsten Punkte, die sie heute schon leisten können? Aber wo sie auch sagen: eigentlich haben wir so eine lange Liste, wenn wir mal anfangen würden, dann hätte ich jetzt auch mal für die nächsten zwei Wochen Stoff. Versuchen sie doch vielleicht gerade noch mal kurz zu skizzieren, was heute schon supergut läuft vor diesem Hintergrund, aber wo sie sagen: das sind eigentlich die nächsten Schritte, die wir angehen müssen.

Mechtild Bölting: Hier fällt immer wieder dieser Begriff ‚Aufarbeitung‘. Das ist ja einmal auf das System hin, auf die Institution hin. Aber Intervention ist ja auch individuelle Aufarbeitung für das, was in der Intervention passiert, wenn sie anrufen, wenn sich Menschen melden, dann wird es deren Anliegen. Wir nennen es auch Fall. Ich mache immer die Anführungszeichen dabei, das wird dann ja aufgearbeitet. Was ist da passiert, und auch, welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen? Wie eben jetzt die Benennung von Namen oder auch, wenn Menschen anrufen, Mitarbeitende anrufen und von der Vermutung berichten, dann werden sie in der Intervention unterstützt. Ich mache dann auch das Fallmanagement bei einem aktuellen Vorwurf, einer aktuellen Vermutung, und da gehört dann eben auch dazu, dass nachher - wenn das alles abgeschlossen ist - geschaut wird: Was müssen wir jetzt in unserem Schutzkonzept wieder ändern und / oder anpassen. Das ist ja auch eine Aufarbeitung. Eine Aufarbeitung ist auch, wenn anschließend die Systeme beraten werden, während wir von der kirchlichen Organisationsberatung als sogenanntes drittes System. Ich nenne diesen Begriff mal, weil es der Fachbegriff ist, damit man da vor Ort mit dieser Geschichte wieder gut arbeitsfähig ist und Spaltungsdynamik, die ganz typisch sind, das solche Dinge bearbeitet werden und vor allem Gespräche sind, weil darum geht es.

Damit öffnen sie das Fenster in die Prävention, weil eigentlich ist ja auch angedacht, aus den Erkenntnissen der Intervention in die Prävention die weitere Entwicklung einfließen zu lassen. Weil das bezieht sich ja nicht nur auf das Generalvikariat, sondern auf alle kirchlichen Institutionen, Kirchengemeinden, Kindergärten und was wir sonst noch an Einrichtungen haben. Wie weit sind wir denn da eigentlich in der Prävention?

Mechtild Bölting: Also einmal grundsätzlich: die Präventionsordnung und die Interventionsordnung gelten ja für alle, für jeden Mitarbeitenden, für alle Ehrenamtlichen und für alle, die sich in Kirche engagieren. Ich bin zwar Präventionsbeauftragte und jetzt auch kommissarisch Interventionsbeauftragte, aber das heißt nicht, dass die nur für mich geschrieben ist oder für meine Funktion geschrieben ist, sondern das ist immer eine gemeinsame Sache, das funktioniert nur gemeinsam. Da möchte ich einfach wirklich mal sagen, dass das auch hier wirklich gut läuft. Also mit Unterstützung der Kommunikations- und Rechtsabteilung, dem Offizialat, von der kirchlichen Organisationsberatung, vom Fortbildungsbereich, also das ist wirklich was, wo viele zusammenarbeiten, das gut läuft.

Was jetzt wichtig ist, was kommen wird, ist die Überarbeitung der Schutzkonzepte. Da werden demnächst auch die Träger nochmal informiert. Vor ungefähr fünf Jahren sind die Schutzkonzepte das erste Mal beschrieben worden. Bei manchen sind sie sehr lebendig. An anderen Stellen ist das angesichts anderer Aufgaben etwas in den Hintergrund getreten. Und dieser regelmäßige Turnus von fünf Jahren ist ja dazu da, um es wieder nach oben zu holen das Thema und noch mal zu gucken - Wie ist das eigentlich bei uns mit der Prävention? Weil das funktioniert nur, wenn da wirklich alle mitmachen. Das ist eine Priorität und eine große Aufgabe, die jetzt auf jeden Fall ansteht.

Und das ist vielleicht auch noch mal ein Appell an alle in der Runde, auch noch mal in ihren Bereichen zu schauen, ob das da mit der Prävention auch immer so gut funktioniert. Ich denke vor allen Dingen auch an die Kirchengemeinden vor Ort. Ich glaube, bei den Kindertagesstätten und Kindergärten funktioniert das ganz gut. Da gibt es auch gute Kontrollsysteme. Aber vielleicht schauen sie auch nochmal in ihre jeweiligen Bereiche, ob sie da gut aufgestellt sind. Lassen sie uns noch mal nach vorne schauen zum Schluss: Wo sagen sie Herr Bischof - auch nochmal als Vorsitzender der Fachgruppe auf Ebene der Bischofskonferenz – liegen die Schwerpunkte? Was ist Ihnen in den nächsten Schritten wichtig und was haben sie sich auf die Agenda geschrieben?

Bischof Dr. Helmut Dieser: Bewusst haben wir ja als Idee in diesem neuen Organigramm, dass es eine Gruppe ist. Also bis jetzt waren ist ein Vorsitzender und ein stellvertretender Vorsitzender, und nun sind wir tatsächlich eine Gruppe geworden. Es gibt also eine Reihe anderer Bischöfe, unter anderem der Bischof von Passau, der von Mainz, der von Dresden, der von Fulda, der von Würzburg, die alle jetzt verbindlich in dieser Fachgruppe mitarbeiten. Und wir haben eine erste Sitzung miteinander gehabt, in der uns klar war, wir haben jetzt die Chance, auch bestimmte Zuständigkeitsbereiche aufzuteilen, sodass nicht der Vorsitzende und sein Stellvertreter das ganze Feld oder im Falle unseres Vorgängers, einer allein für das ganze Feld stand, unser Vorgänger Stephan Ackermann. Das ist eine Riesenchance, und da sind wir jetzt dabei, weitere Bereiche auch wirklich in die Verantwortung zu nehmen.

Zunächst habe ich jetzt gesprochen von sexualisierter Gewalt, von sexuellem Missbrauch. Das ist eine Zuständigkeit, die bei Stefan Burger und mir in dieser Weise auch bleibt. Aber wir sind ja auch da noch dabei, jetzt eine weitere Aufstellung hinzukriegen. Ich habe gesprochen von dem Expertenrat. Ich habe den dritten im Bunde noch nicht genannt. Das ist der Betroffenenbeirat auf Bundesebene. Mit denen sind wir in den Regelgesprächen. Und dann gibt es darüber hinaus auch die unabhängigen Aufarbeitungskommissionen in den Diözesen. Auch da haben wir eingeteilt: wer ist der erste Ansprechpartner für die? Und wir haben die unabhängige Kommission zur Anerkennung des Leids, die Zahlungen, die von dort aus gehen. Wir haben eine Zusammenarbeit auch mit der deutschen Ordenskonferenz und dessen Oberen, der in unserer Fachgruppe mitarbeitet. Diese vielen Player sind bei uns verortet, angedockt, und wir haben die Zuständigkeiten dafür eingeteilt. Es kommt aber noch ein Feld hinzu, und das ist mindestens so unübersichtlich noch und so schwerwiegend, und das ist der ganze Bereich von spirituellem Missbrauch, wie man das nennt, oder anders, besser formuliert, vom Missbrauch spiritueller oder geistlicher Autorität. Das kann mitunter auch mit sexuellem Missbrauch einhergehen, aber muss es längst nicht immer sein. Und auch da haben wir jetzt in der bischöflichen Fachgruppe gesagt, wer als erstes dafür den Hut aufnimmt und das Feld jetzt versucht zu gestalten. Auch da wird es so etwas geben, wie in dem anderen Feld.

Also kann es Ansprechpersonen geben, kann es da Intervention geben, kann es Prävention geben? Wie geht da Aufarbeitung? Also dass ist alles ein Zusatzfeld, das jetzt auch noch irgendwo an Bord gezogen wird und wir sind deswegen zurecht eine Gruppe, und mitunter wird einem aber auch schwindlig vor all den Aufgaben, die man vor sich sieht. Das muss man schon dazu sagen. Das ist manchmal bis an die Grenze der Belastbarkeit, was wir da jetzt versuchen zu tun. Allerdings, wir haben eine gute Unterstützung, wir haben sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn, die uns von der Bischofskonferenz her unterstützen. Auch da müssen weitere Stellen geschaffen werden, sonst ist das nicht zu leisten. Also, man darf nicht anmelden, dass wir uns in dieses Feld jetzt begehen, ohne dann auch entsprechend die Ressourcen zu haben, die dann auch zu Verfügung steht, wenn sich tatsächlich jetzt auch in diesem Feld mehr Menschen melden.

Herzlichen Dank für diesen Ausblick zum Schluss. Ich sehe noch einen Hinweis aus dem Chat. Das hat Frau Bölting sicherlich sofort registriert und wird es berücksichtigen. Ich möchte noch ein Stichwort zum Schluss aufgreifen. Wir schaffen das nicht alleine haben sie an einer Stelle gesagt, Herr Bischof, und ich glaube, das ist auch das Zauberwort für uns hier im allgemeinen Bistumsdienst und in der Pastoral. Aufarbeitung ist nicht Aufgabe des Bischofs, nicht Aufgabe des Generalvikars, nicht Aufgabe der der PIA sondern Aufgabe von uns allen und ich glaube mit der notwendigen Sensibilität, mit den strukturellen, ja auch Konzepten kommen wir da ein gutes Stück weiter. 

Ihnen darf ich ganz, ganz herzlich danken für ihre Aufmerksamkeit.